Der Genuss eines alkoholhaltigen Getränks, entweder zum Abendessen im Kreis der Familie oder mit Kollegen in einer schönen Bar, gehört für viele nach einem stressigen Arbeitstag am Feierabend dazu. Das eine oder andere Getränk zum Essen oder in einer Bar in netter Gesellschaft ist sicher noch kein Anzeichen für einen problematischen Konsum. Doch wo hört maßvoller Genuss auf und wo fängt ein bedenklicher Konsum an? Problematisch wird es dann, wenn man ohne Alkohol erst gar nicht mehr entspannen kann und immer größere Trinkmengen zwangsläufig zum „Cool-down-Programm“ am Abend dazu gehören.
Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2013 gehört „Stress“ für mehr als die Hälfte der Deutschen zum Alltag. Neben Überstunden, Schichtarbeit und hohen beruflichen Anforderungen können auch finanzielle Sorgen oder familiäre Belastungen zusetzen. Die Stresssymptome können dabei vielfältig sein: Von Verspannungen und Kopfschmerzen über Magenbeschwerden und Herzrasen bis hin zu Schlafstörungen.
Alkohol wirkt im Körper ähnlich wie ein Betäubungsmittel: Er dämpft die Erregbarkeit bestimmter Nervenzellen und drosselt die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Darüber hinaus werden im Gehirn Endorphine freigesetzt. Die Stimmung hebt sich, Ängste und Anspannungen wirken kurzzeitig erträglicher. So mancher vom Stress geplagte Mensch setzt daher nach der Arbeit gerne auch auf die entspannende Wirkung von alkoholhaltigen Getränken, um den Feierabend einzuläuten. Nach eigener Aussage genehmigt sich etwa die Hälfte der Männer in Deutschland regelmäßig mindestens ein Feierabendbier oder ein Glas Wein, bei den Frauen sind es etwa 20 Prozent (laut repräsentativer Umfrage im Auftrag der „Apotheken Umschau“ aus dem Jahr 2014). Dass vor allem Angehörige einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht oder Berufsgruppe nach Feierabend zu alkoholhaltigen Getränke greifen würden, um von der Arbeit abzuschalten, widerlegen die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Metastudie des Finnish Institute of Occupational Health: Demnach neigen Vielarbeiter (ab 49 Stunden die Woche) eher zu einem erhöhten Konsum alkoholhaltiger Getränke als Personen mit einer 35- bis 40-stündigen Arbeitswoche – unabhängig von Geschlecht, Alter, sozialer und geografischer Herkunft.
Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig, Mitautor der Metastudie und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Epidemiologie II des Helmholtz Zentrums München, sieht hier einen Zusammenhang zwischen vermehrtem Stressempfinden durch höhere Arbeitsbelastung und dem Griff zum Feierabendgetränk: „Die Ergebnisse unserer Analyse verweisen darauf, dass alkoholhaltige Getränke am Abend getrunken werden, um von der Anspannung eines stressigen Tages loszukommen. Ein Feierabend-Drink ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung. Der mäßige Konsum alkoholhaltiger Getränke sollte nicht verteufelt werden.“ Er fügt hinzu: „Die Schwierigkeit liegt eigentlich wie immer darin, das richtige Maß zu finden und zu halten. Problematisch wird es spätestens dann, wenn sich ohne den Konsum alkoholhaltiger Getränke keine Entspannung mehr einstellt oder immer mehr konsumiert werden muss, um diesen Effekt noch zu erleben.“
Der Übergang vom Genuss zu problematischen Konsummustern ist fließend und immer auch abhängig von den Persönlichkeitsmerkmalen jedes Einzelnen. Alarmzeichen sind u. a., wenn man die Kontrolle über die regelmäßig konsumierte Menge an alkoholhaltigen Getränken verliert und aus dem einen Glas – beinahe unbemerkt – immer mehrere werden oder wenn ohne die alkoholhaltigen Getränke die Nervosität noch zunimmt und mit anderen „Entzugserscheinungen“ wie z. B. Zittern oder Schweißausbrüchen einhergeht.
Hier haben wir für Sie noch einige Tipps für den richtigen Umgang mit dem „Feierabendgetränk“ und für einen effektiven und aktiven Stressabbau:
- Pflegen Sie Ihre Hobbys oder Freizeitsport, um nach Arbeitsende den Kopf frei zu bekommen. Wenn Sie den ganzen Tag im Büro am Schreibtisch sitzen, kann z. B. Joggen ein guter Ausgleich sein. Durch körperliche Betätigung wird nachweislich Stress abgebaut. Sie bringt uns auf andere Gedanken, lastet den Körper aus und macht zudem auch noch Spaß.
- Wer bei der Arbeit den ganzen Tag körperlich gefordert war, hat stattdessen vielleicht eher Lust, entspannt auf der Couch zu sitzen, zu lesen anstatt sich von TV und Smartphone gleichzeitig berieseln zu lassen oder sich mit jemandem über die Erlebnisse des Tages zu unterhalten. Kleine Rituale helfen, den Feierabend bewusst einzuläuten.
- Verzichten Sie in bestimmten Lebensphasen, z. B. wenn Sie Medikamente gegen stressbedingte Symptome einnehmen müssen, auf alkoholhaltige Getränke. Auch ein alkoholfreier Cocktail kann den Übergang in den Feierabend einläuten.
- Bedenken Sie, dass übermäßiger Konsum von alkoholhaltigen Getränken zu Schlafstörungen führen kann – fehlender Schlaf wiederum erhöht das Stresspotential. Wenn Sie ganz bewusst alkoholfreie Tage einlegen, kommen Sie erst gar nicht in einen solchen Teufelskreis.
- Hinterfragen Sie von Zeit zu Zeit Ihr Trinkverhalten. Wenn Sie merken, dass Sie langsam aber stetig immer mehr Alkohol konsumieren und anders nicht mehr entspannen können, sollten Sie bewusst eine längere Zeit ganz auf alkoholhaltige Getränke verzichten. Nutzen Sie alkoholhaltige Getränke nicht, um Probleme und Stress zu „ertränken“.
- Scheuen Sie sich nicht, sich Hilfe zu suchen, falls Sie wiederholt erfolglos versucht haben, Ihren Konsum alkoholhaltiger Getränke zu reduzieren und das Gefühl haben, es alleine nicht zu schaffen