Wer hat die spannendste Timeline?
Freitagabends auf der Couch sitzen, die Lieblingsserie anschauen und bei einem Gläschen Alkohol entspannen. In der Werbepause möchte man nur kurz einmal bei Facebook nachsehen, was es Neues gibt, doch plötzlich sieht man Bilder von seinen Freunden, wie sie entspannt am Strand liegen, die angesagteste Party der Stadt besuchen oder neue Trend-Cocktails in einer beliebten Szene-Bar ausprobieren. Während die Freunde vermeintlich die Zeit ihres Lebens haben, sitzt man alleine daheim und fragt sich, ob man nicht etwas Aufregendes verpasst.
Wem dieses Gefühl bekannt vorkommt, der leidet vielleicht unter dem FoMO-Phänomen („The Fear of Missing Out“), was zu Deutsch so viel bedeutet, wie die „Angst etwas zu verpassen“. Dieses gilt als erste Social-Media-Krankheit im 21. Jahrhundert und hat es 2013 sogar offiziell ins Oxford Dictionary geschafft.
Experten warnen sogar davor, dass die FoMO-Symptome mit schädlichem Alkoholkonsum verbunden sein könnten.
FoMO – Die Angst etwas zu verpassen
Die Nerven sind angespannt, und ein Gefühl von Unbehaglichkeit und Unruhe setzt ein, wenn andere Personen aufregende Dinge erleben, während man selbst nicht dabei ist. „Bei der FoMO-Generation sind Selbstwertgefühl und Lebenszufriedenheit davon abhängig, wie stark man mit anderen Personen vernetzt ist. Hierbei spielt auch die Social-Media-Welt in Bezug auf die positive Selbstwahrnehmung eine wesentliche Rolle. In einer Zeit, in welcher Internetnutzer den persönlichen Alltag ständig im Social Web öffentlich mit anderen teilen, können schlechte Gefühle wie Neid und Stress durch den Wettbewerb um Likes und Follower vermehrt ausgelöst werden“, so der Diplom-Psychologe und Jugendforscher Dr. Wolfgang Settertobulte.*
Neuseeländische Forscher fanden nun heraus, dass das FoMO-Gefühl auch mitbestimmt, wie oft und in welchem Maß alkoholische Getränke von jungen Menschen konsumiert werden. Für die Studie mit dem Titel „FoMO: Die Beziehung zwischen FoMO, Alkoholkonsum und alkoholbedingten Folgen von Collegestudenten“ werteten Forscher des Psychologieinstituts der University of Otago, der ältesten Universität Neuseelands, im Jahr 2014 die Social-Media- und Trinkgewohnheiten von 432 Studenten aus.
Dazu mussten die Studienteilnehmer während ihres Sommersemesters, in einem Zeitraum von drei Monaten ein Tagebuch über ihr tägliches Selbstwertgefühl, ihren Alkoholkonsum und ihre emotionale Verfassung vor bzw. nach Partynächten führen. In den Studien wurden beispielsweise Fragen dazu gestellt, ob die Probanden fürchteten, dass Andere in ihrer Abwesenheit bessere Erfahrungen machten, wie häufig sie Alkohol tranken oder ob sie am Tag nach Feiern Handlungen oder Aussagen bereuten, die sie unter Einfluss von Alkohol getan hatten. Ebenfalls interessierte die Forscher der Zusammenhang zwischen dem Konsum von Alkohol und einer erhöhten Risiko- und Gewaltbereitschaft.
Soziales Trinken und die Folgen von negativem Alkoholkonsum
Das Ergebnis: Je stärker ausgeprägt das FoMO-Gefühl war, desto mehr Alkohol konsumierten die Probanden. Außerdem zeigten sie negativere Trinkgewohnheiten: So gaben sie zum Beispiel in ihrem Tagebuch an, nach einer durchzechten Nacht häufiger Erinnerungslücken, Schamgefühle und Hangovers zu haben. Sie waren eher zu einem aggressiven und gewalttätigen Verhalten unter Alkoholeinfluss bereit und ihre Risikobereitschaft stieg mit zunehmenden Alkoholkonsum an. Ständig auf der Jagd nach dem besten Schnappschuss, begaben sie sich in gefährliche Situationen, wie alkoholisierte Autofahrten oder Party-Trinkspiele.
Die Forscher erklärten die Tatsache, dass ein starkes FoMo-Gefühl und häufiger Alkoholkonsum oft zusammen auftreten, damit, dass Personen, die ständig Angst haben, etwas Tolles zu verpassen, in der Regel öfter mit Alkohol in Kontakt kommen als Menschen, die lieber alleine zu Hause bleiben. Veranlasst durch ihre „FoMO-Angst“ sehen sie andauernd bei sozialen Medien nach, welche Veranstaltungen in ihrer Umgebung stattfinden und treffen sich öfters mit Freunden in Bars, Clubs und anderen Orten, wo auch Alkohol getrunken wird. Dass sie im Laufe des Abends häufiger impulsive Handlungen oder Aussagen machten, für die sie sich am nächsten Tag schämten, begründeten die Forscher damit, dass sich die FoMo-Leidenden generell mehr Gedanken darüber machten, wie ihr Verhalten bei anderen ankam und ob sie ihrem Gesprächspartner gegenüber Aussagen tätigten, die ihren sozialen Status negativ beeinflussen könnten.
„Da die Studie bisher nur unter neuseeländischen Studenten durchgeführt wurde, besteht an dieser Stelle noch weiterer Forschungsbedarf. Das FoMO-Gefühl lässt sich jedoch als das Ergebnis des ständigen Mitteilungsbedürfnisses der jungen Internetnutzer festhalten. Viele sind ständig auf Plattformen wie Facebook, Twitter und Co. unterwegs, weil sie Angst haben, etwas Aufregendes in ihrer Umgebung zu verpassen. Das dauerhafte Posten von Urlaubsbildern, perfekt platziertem Essen und Trinken, um den eigenen Lebensstil zu dokumentieren und den Freunden zu zeigen, wo man sich gerade aufhält, spiegelt den Wunsch nach sozialer Anerkennung wieder. Viele setzen sich so einem enormen Druck aus, der auch schnell gefährliche gesundheitliche und soziale Folgen mit sich bringen kann. Viel wichtiger ist es jedoch, sich von der virtuellen Welt zu befreien und das wirkliche Leben bewusster zu genießen“, so Dr. Settertobulte weiter.
Unsere Tipps
- Verzichten Sie bewusst auch einmal einen Abend auf Facebook, um die Zeit mit sich selbst zu genießen.
- Alkoholhaltige Getränke eignen sich nicht als Problemlöser.
- Versuchen Sie sich nicht ständig mit anderen zu vergleichen. Das gibt nur Leistungsdruck.
- Trinken Sie nur in Maßen: Verantwortungsvolles Trinken ist für Körper und Geist gesünder.
- Auch bei Social-Media-Aktivitäten maßvoll genießen: Trends nicht immer folgen und selbstbewusst das „Neinsagen“ lernen. Das zu tun, was man selbst wirklich mag, gibt viel mehr Energie im Alltag.
Anm. d. Red.: In seiner beruflichen Laufbahn befasste sich Dr. Settertobulte u. a. mit der Evaluation schulischer und kommunaler Alkohol- und Drogenprävention und war Koordinator der Jugendstudie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) sowie Geschäftsführer des „WHO Collaborating Centre for Child and Adolescent Health Promotion“ an der Universität Bielefeld. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen in Büchern und Fachzeitschriften. Seit 2003 arbeitet er freiberuflich als Psychologe und Autor.